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B12-Mangel kann jeden treffen!

Dr. Andreas Schenzle im Interview

Viele Mythen kreisen um das Vitamin B12. „Eine Ernährung, bei der man Pillen nehmen muss? Da habe ich keine Lust drauf.“ So klingt ein häufiges Argument gegen den veganen Lebensstil. Pflanzenköstler sagen sich jedoch, lieber nehme ich eine Pille und verzichte dafür auf tierische Produkte, welche teilweise mit Medikamenten belastet sind. Dr. Andreas Schenzle bereichert mit Panvega AG den Markt mit innovativen Produkten und beleuchtet das Thema B12 aus einer neuen Perspektive.

Dr. Andreas Schenzle
Andreas, bitte erzähle uns etwas zu dir. Was ist dein Background?

Ich habe technische Biologe studiert und auf einem Thema der angewandten Mikrobiologie promoviert. Nach dem Studium in meiner Heimat Deutschland arbeitete ich als Mikrobiologe in der chemischen Industrie unter anderem bei DuPont in Amerika. Zwischendurch wechselte ich in die Pharma/Biotechnologie. Doch ich merkte später, dass mir die Mikrobiologie besser liegt.

Im Jahr 2013 kam ich in die Schweiz. Meine Ernährung und meine Weltanschauung haben sich mit der Zeit geändert. Meine Frau hat hier gute Arbeit geleistet, sozusagen als Influencerin. Erst wurde ich
durch sie zum Vegetarier und seit etwa drei Jahren ernähre ich mich rein pflanzlich. Im Zuge dieses Wechsels überlegte ich, was ein vernünftiger Beitrag wäre, um die vegane Lebensweise zu unterstützen.

Und dann hast du das Vitamin B12 ins Visier genommen.

Ich wusste, dass Vitamin B12 ausschliesslich von Bakterien hergestellt wird. Und die Zufuhr stellt ein Problem in der pflanzenbasierten Ernährung dar, weil Vitamin B12 fast nur in tierischen Erzeugnissen enthalten ist. Ich überlegte mir ein Projekt und verwirklichte dieses.

Wie hast Du angefangen?

„Die Idee und das wichtigste Ziel war es, ein Vitamin B12 zu entwickeln, welches (…) biovegan ist.“

Dr. Andreas Schenzle

Die Idee und das wichtigste Ziel war es, ein Vitamin B12 zu entwickeln, welches konform zur Bio-Verordnung und zu einer rein pflanzenbasierten Ernährung, kurz, biovegan ist. Das schliesst zum Beispiel Rohstoffe mit ein, welche keine genetisch veränderten Komponenten enthalten.

Für ein solches Forschungsprojekt muss man mit einer Hochschule zusammenarbeiten. Über mein wissenschaftliches Netzwerk bin ich auf Leute gestossen, die mir ihre Unterstützung angeboten haben: Zwei Professoren der Hochschule Westschweiz in Sitten, ein Mikrobiologe und ein Lebensmitteltechnologe. Sie begeisterten sich für die Projektidee.

Um das Projekt zu finanzieren, wollten wir Unterstützung bei der eidgenössischen KTI (Kommission für Technologie und Innovation; heisst mittlerweile Innosuisse) beantragen. Das KTI stellte die Hälfte des Projektbudgets in Aussicht. Die andere Hälfte sollte durch einen oder mehrere Industriepartner übernommen werden. Deswegen präsentierten wir die Projektidee einem Schweizer KMU aus der Fermentationsbranche, das sich sehr interessiert zeigte, das B12 im grossen Massstab zu produzieren.

Schliesslich akzeptierte die KTI unseren Antrag und wir konnten loslegen. Ich stellte mein Know-how zur Verfügung und koordinierte alle Projektaktivitäten.

Habt ihr eure Ziele erreicht?

Das zweijährige Projekt wurde im Dezember 2017 erfolgreich abgeschlossen. Im Vergleich mit anderen gängigen Fermentationen ist unsere relativ schwer zu handhaben, aber wir haben sie jetzt im Griff.
Andererseits ging es nicht nur um die Fermentation, sondern auch darum, markttaugliche Lebensmittel herzustellen. Aus diesem Ziel heraus entstand zusätzlich ein Zwischenprodukt, welches lange haltbar und einfach in Lebensmittel zu dosieren ist.

Und um eure „veg’ N co“ Produkte zu vermarkten, hast du die Panvega AG gegründet.

Ja, genau, aber wir wollen auch zu einem späteren Zeitpunkt weitere Produkte entwickeln und vermarkten.

Inwiefern hattest du zuvor mit Bakterien und dem Fermentationsprozess zu tun?

Während meiner Zeit bei DuPont und in Norwegen bei Statoil (heute Equinor) arbeitete ich an Projekten, um aus Erdgas Biomasse mittels Fermentation herzustellen. Es gibt spezielle Bakterien, die auf Erdgas wachsen. Statoil und DuPont waren interessiert daran, etwas Vernünftiges aus dem überschüssigen Erdgas der Ölfelder zu machen.

Was war das erzielte Endprodukt?

Die von den Bakterien produzierte Biomasse war sehr proteinreich.
In Norwegen verwendete man sie schon jahrelang als Fischfutter für die Fischfarmen. In einem nächsten Schritt sollte die Biomasse auch als Futtermittel für Nutztiere in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Wegen des damals stark steigenden Gaspreises hat sich das jedoch nicht mehr gelohnt.

Wäre es deiner Meinung nach ein guter Ansatz, Futtermittel über Fermentation herzustellen,
statt sie aus dem Fischfang zu produzieren oder Landmasse für deren Anbau aufzuwenden?

Absolut. Das ging in Richtung Nachhaltigkeit. Doch ich muss sagen, dass ich heute keine Futtermittel mehr produzieren würde. Tatsächlich sollte die aus Erdgas produzierte Biomasse auch als Rohstoff für andere industrielle Fermentationsprozesse verwendet werden. Viele Fermentationsprozesse, z.B. auch unserer, benötigen nämlich eine komplexe Stickstoffquelle. Diese Produktidee halte ich nach wie vor für sinnvoll.

Woher kommt denn dieses B12 im Tier eigentlich?

Nehmen wir das Beispiel der Wiederkäuer: Diese haben ein sehr komplexes Verdauungssystem. Und es ist tatsächlich so, dass Bakterien in diesem Verdauungstrakt Cobalamin – das ist das Fach-wort für B12 – herstellen. Die Tiere nehmen dieses durch ihre Magen- oder Darmwände auf und so gelangt es ins Fleisch und in die Milch.

Also dann hat das nichts mit dem Futter der Tiere zu tun?

Es spielt keine Rolle, ob die Kuh Gras oder Kraftfutter frisst. Bei jedem Tier, so auch im Menschen, sind Bakterien im Verdauungssystem angesiedelt. Es besteht hier sogar eine Symbiose mit vielen der Mikroorganismen. Der Mensch ist von B12-bildenden Bakterien im Dickdarm besiedelt. Leider nehmen wir das B12 im Dünndarm auf, so dass wir das Vitamin über unsere Nahrung aufnehmen müssen, soweit wir nicht anders supplementieren.

Es gibt ein Gerücht darüber, dass Menschen B12 aufnehmen können, wenn sie täglich „zehn schmutzige Möhren“ essen. Ist da etwas dran?

Das kann ich so nicht bestätigen. Es gibt zwar Bodenbakterien, die Vitamin B12 bilden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das Essen von zehn schmutzigen Möhren ausreicht, um die notwendige B12-Versorgung zu gewährleisten. Das kann ich mir höchstens bei Wildschweinen vorstellen, da die relativ viel Erde mit ihrer Nahrung verschlucken.

B12 ist auf jeden Fall das Element, was zusätzlich zugeführt werden muss, wenn man sich 100% pflanzenbasiert ernährt.

Täglich zehn schmutzige Möhren essen für ausreichend B12? –
Alles nur ein Gerücht.

Wie funktioniert die Herstellung von Vitamin B12?

Generell über Fermentation mit speziellen Bakterien in geeigneten Rührkesseln. Mikroorganismen sind häufig im Spiel, wenn etwas produziert wird. Zum Beispiel sind Hefe und Sauerkraut sehr typische Fermentationsprodukte. Die Lebensmittelindustrie stellt schon lange sehr viele Produkte mit Hilfe von Bakterien oder Pilzen her. Ein weiteres Beispiel ist Vitamin C.

Konventionell wird Vitamin B12 mit genetisch veränderten Bakterien hergestellt. Das Vitamin wird dann noch aufkonzentriert und aufgereinigt. Insgesamt ist das nicht konform zu den Biovorgaben.
Wir dagegen verwenden keine genetisch veränderten Bakterien, sondern sogenannte Wildtypen und belassen das B12 unverändert in der Biomasse.

Wie fand denn das B12 ins Labor?

Beschrieben wurde es als Faktor, der bösartige Blutarmut heilen kann, schon in den 1920er und 1930er Jahren. Isoliert in kristalliner Form wurde es 1948. Erst seit 1955 kennt man seine Molekülstruktur.
Schon wenige Jahre danach begann die kommerzielle Produktion des Vitamins über Fermentation in grossen Rührkesseln.

Hefe – ein typisches Fermentationsprodukt
Handelt es sich immer um Fermentation, wenn Bakterien etwas erzeugen?

Man spricht immer von Fermentation, wenn etwas von Mikro-organismen, anderen Zellen oder Enzymen produziert wird. Entdeckt wurde die Fermentation durch Louis Pasteur, der Gärungen unter Ausschluss von Sauerstoff beschrieb. Gärung ist nichts anders als Fermentation und dieser Begriff wurde später ausgeweitet auf alle Umwandlungen von organischen Stoffen durch Zellen oder Enzyme.

Kannst du etwas zum B12-Bacterium sagen?

„Wir sprechen von Propionibakterien. Davon gibt es gute und schlechte. (…) Dieses kommt im Emmentaler Käse vor uns sorgt für seine Löcher und den Geschmack.“

Dr. Andreas Schenzle

Wir sprechen von Propionibakterien. Davon gibt es gute und schlechte, also nützliche oder krankheitserregende. Propionibacterium acnes lebt zum Beispiel auf der Haut und kann Akne verursachen. Ich spreche jetzt aber von einem harmlosen und nützlichen Vertreter der Propionibakterien. Dieses kommt im Emmentaler Käse vor und sorgt für seine Löcher und für seinen Geschmack. Und es ist dafür verantwortlich, dass in diesem Käse relativ viel B12 enthalten ist.
Ursprünglich wurde das Bacterium von Herrn Professor Freudenreich – ein Schweizer übrigens – aus dem Emmentaler Käse isoliert. Deswegen heisst es Propionibacterium freudenreichii.

Wenn wir produzieren wollen, kaufen wir natürlich keinen Emmentaler Käse, sondern bewahren das Bacterium gefroren bei -70°C auf. Wenn man was braucht, holt man eines der Röhrchen raus und streicht etwas Biomasse auf eine Petrischale mit Agarose und einem speziellen Wachstumsmedium – 100% vegan versteht sich.

Agarose ist ein pflanzliches Polymer, das man u.a. auch für die Marmeladenherstellung verwenden kann. Wenn man es aufkocht und danach wieder abkühlt, ergibt sich eine geleeartige Konsistenz. In die Agarose werden die Nährstoffe wie Salze, die Stickstoffquelle und die Kohlenstoff- und Energiequelle gemischt, so dass die Bakterien wachsen können.

Mit dem Ausstreichen der Bakterien auf das Nährmedium werden diese zum Leben erweckt. Auf dieser Platte entstehen erst mal Kolonien. Die Kolonien siedelt man dann um in ein Flüssigmedium in einem Röhrchen oder Kölbchen mit den gleichen Medien-Bestandteilen ohne Agarose. Danach siedelt man es um in einen grösseren Kolben, weiter zum Fermenter und zu einem grösseren Fermenter. Auf unserer Internetseite panvega.ch gibt es eine schöne Illustration dazu.

Wie lange dauert der Prozess von steif gefroren bis zum Bestandteil von Lebensmitteln?

Bei der Fermentation entsteht in etwa zwei Wochen die fertige Biomasse. Um die Biomasse haltbar, besser dosierbar und lagerfähig zu machen, trocknen wir sie noch, aber das dauert nur einen Tag zusätzlich.

Warum ist B12 wichtig und was passiert im Körper bei einem Mangel des Vitamins?

Bei einem Mangel an B12 kann es zu einer Erkrankung des Blutbildes und einer Schädigung des Zentralnervensystems kommen. Das hat ganz viele Folgen wie zum Beispiel chronische Erschöpfung und Müdigkeit, Koordinationsstörungen und viele Weitere. Im Extremfall kann man an B12-Mangel sterben.

Kann ein B12 Mangel auch bei Menschen vorkommen, welche Fleisch essen?

Ja, das ist möglich. Viele ältere oder kranke Menschen zum Beispiel können B12 nicht mehr gut aufnehmen. B12-Mangel kann unter anderem Demenz auslösen.

An dieser Stelle möchte ich anbringen, dass unsere veg’N co-Produkte einen B12-Mangel bei gesunden Menschen vorbeugen können, so wie zum Beispiel der tägliche Verzehr einer Zitrone Vitamin C-Mangel verhindern kann. Bei bereits bestehendem B12-Mangel oder einen erhöhten Bedarf, sollte auf jeden Fall ein Arzt konsultiert und entsprechend supplementiert werden. Übrigens sollte sich jeder Mensch, egal was er isst, regelmässig auf B12-Mangel untersuchen lassen. Sicher ist sicher.

Wie viel B12 braucht ein Mensch überhaupt?

Die gesetzlich empfohlene Tagesdosis beträgt 2,5 Mikrogramm. Ein gesunder Mensch braucht auch nicht mehr. Pro Mahlzeit kann der Körper ein bis zwei Mikrogramm über den Dünndarm aufnehmen. Der menschliche Körper hat ein ausgeklügeltes System für die Aufnahme von B12. Schon im Mundspeichel sind Proteine die das B12 fest binden, und vor der Magensäure schützen – also noch bevor der intrinsische Faktor ins Spiel kommt.

Die gesetzlich empfohlene Tagesdosis beträgt 2,5 Mikrogramm B12.

Nicht gebundenes B12 wird durch die Salzsäure im Magen schnell zerstört. Das ist wahrscheinlich mit ein Grund, warum das B12 vieler Pillen nicht besonders effizient aufgenommen wird. Da das Vitamin B12 für den Körper enorm wichtig ist, geht er sparsam mit dessen Verbrauch um und er kann es sogar recyceln.

Warum sollen Nahrungsmittel deiner Meinung nach mit B12 angereichert werden? Es geht doch auch in Form von Pillen.
B12 als natürliche Lebensmittelzutat – kein Ergänzungsmittel

Es gibt viele Leute, die gerne auf B12-Nahrungsergänzungsmittel verzichten wollen, und wir bieten eine gute Alternative hierfür an. Bei unserer Biomasse handelt sich nicht um Nahrungsergänzungsmittel, sondern um eine natürliche Lebensmittelzutat, die für Bioprodukte erlaubt ist. Bei regelmässigem Konsum von veg’N co-Produkten muss keiner mehr daran denken B12-Pillen zu nehmen (Ausnahmen siehe oben). Übrigens ist es gesetzlich nicht erlaubt, Lebensmittel mit mehr als 9 Mikrogramm B12 pro Portion anzureichern, aber normalerweise reicht das ja auch.

Ihr habt geplant, Ende Oktober 2018 den Vertrieb eurer Marke veg’N co zu starten. Seid ihr bereit?

Die Markteinführung wird sich etwas verzögern. Wir rechnen jetzt mit dem Eintritt im Laufe des November 2018.

Was bedeutet der Name?

veg’N co bedeutet vegan und mehr. Das „mehr“ soll auf Qualität und Nachhaltigkeit hinweisen. Die Produkte sind ja auch biozertifiziert. Weiter bezieht sich das „co” auf Cobalamin und bekommt so eine doppelte Bedeutung.

Welche Produkte habt ihr im Angebot und wo bietet ihr diese zum Verkauf an?

Anfänglich bieten wir vier veg’N co-Produkte an:

– Falafel
– veg’N Tätschli
– veg’N Burger
– veg’N Gemüsebouillon

Die sind alle biovegan und enthalten mindestens die empfohlene Tagesdosis an B12 pro Portion. Wir wollen unser Angebot zügig ausweiten. Unsere B12-Produkte kann man in bestimmten lokalen Läden kaufen und über unseren Webshop vegnco.ch beziehen, der im November live geschaltet wird. Das machen wir dann rechtzeitig
über unsere Webseite panvega.ch bekannt.

Was hast du für Zukunftsvisionen?

Im Laufe des Jahres 2019 wollen wir die Gewinnzone erreichen.
Im Moment suchen wir nach Investoren, um die veg’N co-Produktlinie schneller erweitern zu können.

Mittel- und langfristig möchten wir weitere nachhaltige, biovegane Produktlinien entwickeln und vermarkten und auch die Märkte ausserhalb der Schweiz erschliessen. Und natürlich verknüpfen wir das mit der Hoffnung, dass insgesamt weniger Tierprodukte auf den Tellern landen.

Herzlichen Dank für deine lehrreichen Antworten, Andreas. Wir wünschen dir viel Erfolg mit deinen innovativen Produkten.

Dieses Interview erschien am 09. Oktober 2018 auf veenity.com
Autorin: Linda Schenker